Memoria
Apichatpong Weerasethakul ist Preisträger der Palme D’or, aber viel wichtiger, Träger von Bild und Ton in einer Form, wie man sie nur selten erfahren kann. Genau dies ist auch wieder in Memoria, ein weiterer Film im Œuvre des Slow Cinema Regisseurs, möglich. Es geht um eine Frau, gespielt durch Tilda Swinton, diesmal unter anderem nicht im Thailändischen, sondern Kolumbianischen Dschungel, welche auf der Suche nach der Herkunft eines lauten Geräuschs ist, welches Sie und den Zuschauer in der Laufzeit des Films immer wieder perplex dreinblicken lässt. Das Erfahren dieser mysteriösen auditiven Wahrnehmungsstörung gleicht einem Gefühl des Fremdseins und reiht sich damit in die Charakterisierung der Hauptfigur nahtlos ein. Der klangliche Begleiter in Kombination mit den weiten Bildern der Kulisse führen auf der einen Seite zu einem angespannten Zustand, da der Knall nur beiläufig ertönt und auf der anderen Seite wirkt es beruhigend, da Weerasethakul Zeit gibt sich in den Bildern zu verlieren. Die Quelle des Geräuschs bleibt unklar. Es gibt immer wieder Hinweise, insbesondere in einer der letzten Sequenzen, was denn die Ursache sein könnte. Ob die Explosion im Kopf auf ein traumatisches Ursprungsereignis zurückzuführen ist oder ob es einen anderen rationalen oder vielleicht auch irrationalen, wie der Film gegen Ende suggeriert, Grund gibt, bleibt offen. Allerdings gibt es eine medizinische Erklärung für das nachhallende Geräusch, Weerasethakul spricht in Texten vom “Exploding Head Syndrome” unter dem er selbst leidet. Im Film selbst ist davon nie die Rede. Das Geräusch, eine Art insomnische Störung, mit dem Nebeneffekt, dass der Moment und Film anhält bis zur vollständigen Dissoziation. Das fremdartige Hören via Vibrationen befördert Sie auf eine Ebene zwischen Realität und Traum. Der Hörsinn ist die letzte Fähigkeit, die schwindet, um die Umgebung wahrzunehmen, bevor jemand stirbt. Insgesamt eine cineastische Sinfonie, die Bild und Ton nutzt, um auch die Zuschauer in einen Traumzustand zu versetzen und ins Unterbewusstsein vorzudringen. Diese Traumhalluzinationen sind die einzig wahren Halluzinationen, da sensorische Auswirkungen nicht von externen Quellen abhängig sind. Der Wahn ist hier die Norm und das ist in Ordnung. Hernán schläft ein und die Partizipierenden des Publikums träumen mit ihm zusammen.
Gesehen im GRAND THÉÂTRE LUMIÈRE während Cannes2021.