Decision to Leave
Zwei Rundhorizonte wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Gebirge und der Ozean. Park Chan-wook nimmt mit Decision to Leave den vollen Wellenlängenbereich mit der Kamera ein. Sowohl landschaftlich als auch emotional. Die Witwe Seo-rae ist spürbar unberührt über das Ableben ihres Mannes, welcher beim Klettern vermeintlich verunglückt ist. Diese Gelassenheit positioniert sie in die Mitte des Fadenkreuzes von Detektiv Hae-joon. Trotz belastbaren Erkenntnissen erfolgt keine umfangreiche Strafverfolgung, sondern viel mehr die Sehnsucht zur Verdächtigen. Entgegengezeigt der bisherigen Filmografie gibt es keine Antizipation des Twists und die Frage “Wer ist der Täter?” steht nicht im Vordergrund. Es sind diesmal zwei Charakterstudien, die sich Park Chan-wook vorgenommen hat und gelungen in Einklang bringt. Seo-rae löst mit Ihrer geheimnisvollen Art Gefühle beim Ermittler Hae-joon aus, was diesen seine sonst perfekt methodische Herangehensweise an seine Arbeit vernachlässigen lässt. Er verdächtigt und sucht zugleich die Nähe zu ihr. Die bebende Erde und das sich bewegende Meer ist die Kulisse, in der sich die ebenso bebenden und bewegenden Figuren befinden. Ein Verlust, der von ihr subtiler nicht verarbeitet werden kann und das Entbrennen von Emotionen, die in ihm noch nie zum Vorschein gekommen sind. Während des Films ändert sich was in den Zweien, ausgelöst durch ihr Aufeinandertreffen und abgeschlossen durch die Vereinbarung, sich zu trennen. Die Inszenierung ist wie erwartet neu, spielerisch und insbesondere hinsichtlich der Darstellung moderner Technologien sehr erfrischend. Park Chan-wook muss sich lange Gedanken machen, wie er etwas erzählen möchte und das merkt man Decision to Leave im Kontext der Kameraführung an. Dies hält die Aufmerksamkeit des Sehers, welcher nicht bemerkt, wie er langsam und tiefer in die Geschichte eintaucht.
Gesehen im GRAND THÉÂTRE LUMIÈRE während Cannes2022.